Das Antoniterhaus Roßdorf-Höchst und sein Kloster zu Köln
Die Flucht nach Köln
Ende November des Jahres 1631 packten im Höchster Antoniterkloster der hochwürdigste Herr Generalpräzeptor Gottsschalk Dünwalt und die wenigen in der Stadt noch ansässigen Antoniterchorherren ihre Schätze und ein paar Habseligkeiten zusammen und machten sich fluchtartig auf den Weg nach Mainz. Der hastige Aufbruch hatte einen triftigen Grund: König Gustav Adolf von Schweden, der unbestrittene Führer des Protestantismus in dieser Phase des Dreißigjährigen Krieges, besetzte mit seiner Armee Höchst, um von dort aus die Belagerung von Mainz in Angriff zu nehmen. Obwohl die schwedischen Truppen im Vergleich zu den übrigen das Reich drangsalierenden Söldnerbanden als diszipliniert galten, standen der Stadt und dem trotz einhundert Jahren Misswirtschaft immer noch wohlhabenden Antoniterkloster schwere Jahre bevor.
Der Generalpräzeptor Dünwalt wusste, wohin er sich wenden sollte. Vom unsicheren Mainz aus gelangte er mit seinen Mitbrüdern rheinabwärts auf dem schnellsten Wege nach Köln, wo der gesamte Höchster Konvent bis 1637 im dortigen Antoniterhaus Unterschlupf fand. Auf Köln fiel die Wahl des Höchster Klostervorstehers nicht allein deshalb, weil er von hier 1610 in den Höchster Konvent gekommen war. Zwischen Köln und der Höchster Generalpräzeptorei bestanden seit Jahrhunderten enge, in jüngster Zeit allerdings nicht nur harmonische Beziehungen. Jetzt aber, in den Zeiten der Not, waren die Querelen vergessen und die Höchster Flüchtlinge wurden für sechs Jahre gastlich aufgenommen..
Respekt vor dem Mutterhaus
Ein wenig von dem schuldigen Respekt für das ehemalige Mutterhaus mag ebenfalls eine Rolle gespielt haben. Schließlich war das Kölner Haus am 21. Dezember 1298 von der damals noch In Roßdorf bei Hanau beheimateten späteren Generalpräzeptorei Roßdorf-Höchst aus gegründet worden. Erst fünfzig Jahre vor der Flucht der Höchster Ordensleute, 1581, war die Kölner Niederlassung von Papst Gregor XIII. aus der Abhängigkeit von Höchst gelöst und in den Rang einer gleichberechtigten Generalpräzeptorei erhoben worden.
Diesen Verlust hatten damals die Höchster höchst unwillig ertragen. Aber sie waren selbst daran schuld. Das Haus Roßdorf-Höchst hatte Im 15. Jahrhundert und bis zur Reformation seine Blütezeit erlebt. Es war die älteste Niederlassung der Antoniter in Deutschland. Neben dem Kölner Haus unterstanden ihm zahlreiche weitere Präzeptoreien in Deutschland. Im Gesamtorden, der sich vom Atlantik bis nach Palästina ausdehnte, stand Höchst an der Spitze aller Generalpräzeptoreien. Sein Grundbesitz umfasste mit etwa 50 Quadratkilometern den Umfang einer mittleren Grafschaft.
Niedergang des Höchster Antoniterklosters
Diese glänzende Stellung vermochten die Höchster Antoniter nach der Reformation nicht mehr zu halten. Zwar blieb das Ordenshaus selbst, im erzbischöflichen Mainzer Kurstaat gelegen, von Umwandlung oder Auflösung verschont. Es gärte jedoch im Konvent, Misswirtschaft und Zuchtlosigkeit der Generalpräzeptoren traten hinzu und schließlich kam es zu einem spürbaren Rückgang der einstmals reichen Einkünfte. Von den Besitzungen In Roßdorf in der nunmehr protestantischen Grafschaft Hanau kam nicht mehr viel, vor allem aber hörten die lukrativen Sammelfahrten in die Rheinlande auf.
Diese Sammelfahrten, kurz "Quest" genannt, waren eine Spezialität der Antoniter, der Quell ihres Reichtums und letztlich auch der Grund für die Gründung des Kölner Hauses. Als Gegenleistung für ihren mustergültigen Hospitaldienst, bei dem sie sich vor allem der Pflege der unheilbar Kranken, die von der Mutterkornvergiftung befallen waren, widmeten, genossen die Antoniter das Privileg, auf ausgedehnten Sammelfahrten reiche Zuwendungen in Geld und Naturalien entgegennehmen zu dürfen. Zwei der drei großen viagia hiemalia, der Winterfahrten der Höchster Antoniter, führten nach Köln und an den Niederrhein. Das Kölner Antoniterhaus diente bei diesen Fahrten als Stützpunkt und Sammelstelle. Zusätzlich hatte das Kölner Haus noch das Recht zu eigenen Sammelfahrten. Ihre Routen führten sie in die Diözesen Köln und Münster, ins Bergische Land und in den Westerwald.
Eine besondere Funktion kam dem Kölner Antoniterhaus noch durch die unmittelbare Nachbarschaft zu einer Universität zu. Seit 1420 bestand Im Orden die Vorschrift, dass Antoniter nur in solchen Universitätsstädten studieren durften, in denen die Antoniter ein eigenes Haus unterhielten. So kam es, dass immer wieder Höchster Antoniter bei ihren theologischen Studien gastfreundliche Aufnahme im Kölner Antoniterhaus fanden, und das noch zweihundert Jahre über die Trennung von 1581 hinaus.
Bei aller herzlicher Verbundenheit - den Niedergang des Höchster Anioniterklostem nach der Reformation mochten die Kölner nicht mitmachen. Verschleuderung des Vermögens, Konkubinat, ja sogar Schlägereien der frommen Herren untereinander sollten nicht nach Köln übergreifen. Schon 1559 schaltete man das Mitspracherecht der Höchster bei der Wahl des Kölner Präzeptors aus. Die Trennung des Konvents von Höchst 1581 war nur die logische Folge.
Hilfe aus Köln
Fast verkehrten sich die Verhältnisse. Dem auch nach der Zahl der Chorherren vom Untergang bedrohten Höchster Konvent leistete das Kölner Haus tatkräftige personelle Unterstützung. Von den sieben Höchster Generalpräzeptoren in dem Jahrhundert zwischen 1541 und 1640 kommen allein vier aus Köln, darunter dar prachtliebende Erneuerer des Höchster Klosters, Georg von Lyskirchen (1576-1612). Kein Wunder, wenn Gottschalk DünwaIt bei seinem Gedanken an Rettung zuerst die Kölner Antoniterpräzeptorei einfiel.
Das dortige Anwesen der Antoniter bestand, wie überall, aus Wohn- und Wirtschaftsgebäuden, die in ihrer Geräumigkeit jederzeit die Aufnahme von Gästen ermöglichten. Das Kloster im Zentrum von Köln wurde von der 1350 begonnenen, dreischiffigen Basilika überragt. Trotz der Umbauten des 19. Jahrhunderts und der Zerstörung des letzten Krieges gibt die heutige (evangelische) Kirche immer noch eine gute Vorstellung von der Klosterkirche der Kölner Antoniter. Ihr bedeutendster Schmuck ist heute der 1927 geschaffene Todesengel von Ernst Barlach, ein Nachguß des Künstlers nach dem Originalmodell.
1803 brachte das "Aus"
Nach der Trennung entwickelten sich das Höchster und das Kölner Antoniterhaus Im Gleichklang. Ihrer ursprünglichen Aufgabe, dem Hospitaldienst, entfremdet, lebten sie beschaulich und kontemplativ, »mehr anständige Menschen denn als Ordensleute", vor sich hin. Die Reform des Gesamtordens der Antoniter 1616 machten beide Häuser nicht mit und trennten sich 1634 von ihm. Als dieser 1776 mit dem ehemaligen Mutterhaus in St. Antoine in den Malteserorden inkorporiert wurde und damit aufhörte zu bestehen, waren die Antoniterhäuser in Höchst und Köln die letzten ihrer Art in Europa.
Auch Ihr Ende kam wenig mehr als ein Vierteljahrhundert später. Im August 1802 wurde das Kölner Antoniterhaus säkularisiert und die Kirche der evangelischen Gemeinde übergeben. Im Januar 1803 schlug auch dem Höchster Kloster die Stunde. Nur noch vier Insassen erlebten den Tag. Still, wie sie gelebt hatten, zogen sie sich mit einer Rente ins Privatleben zurück. Die Erinnerung an die Höchster und die Kölner Antoniter blieb nicht nur in den von ihnen errichteten Kirchenbauten wach.
Dr. Wolfgang Metternich