Von Lyon in die Dauphiné
Die Heimat des Antoniterordens
„Do quame die ersamen Herrn sci Antonius orden. Bie des erwirdigen in gote vater und hern her Dyierich ertzbischoff zu mentze schencke zu erpach gey hoeste“. So lautet die Notiz im Höchster Gerichtsbuch von 1441 über die erste Niederlassung der Chorherren des Antoniter-Ordens in der kleinen mainzischen Amtsstadt Höchst am Main. Wer waren diese Antoniter, wie sie allgemein bis zum heutigen Tage genannt werden? Und woher kamen sie eigentlich? Letztere Frage ist leicht zu beantworten. Sie siedelten mitsamt ihrem Kloster von Roßdorf bei Hanau nach Höchst um. Aber die Frage nach ihrer wirklichen Herkunft, auch die zuvor gestellte Frage, wer oder was die Antoniter waren und was sie in Höchst so vor hatten, ist damit noch nicht beantwortet. Die Beschäftigung mit dem Schlossfestpartner Lyon gibt Anlass, auch einmal über die Stadtgrenzen der Metropole an Rhône und Saône hinaus zu schauen. Und da landet man fünfzig Kilometer südlich, in der angrenzenden Dauphiné, alsbald in dem kleinen Städtchen St. Antoine l’Abbaye, der Urheimat des Antoniterordens.
St. Antoine, schon einmal gehört? Wohl kaum! Schon mal dort gewesen? Warum denn? Bis auf einige Höchster, die mit verbissenem Eifer alles aufsuchen, was auch nur entfernt an die Antoniter erinnert, scheint es auch keinen Grund zu geben, dort hinzufahren. Vor den Antoniterfans wären da allenfalls die Käseliebhaber gefragt. Schließlich wird in unmittelbarer Nähe in St. Marcellin der gleichnamige Käse hergestellt, unter den schätzungsweise 500 bis 1.000 Käsesorten Frankreichs einer aus der feineren Abteilung. Die nahe Gourmet-Hauptstadt Lyon lässt grüßen. Sonst noch was? Schauen wir uns in St. Antoine einmal um.
St. Antoine liegt in einer gefälligen, aber nicht gerade aufregenden Hügellandschaft mit vielen Wiesen und Weiden, dazu ein paar Flecken Wald. Das war, bevor im Zuge der Industrialisierung die große Städte − so auch das nahe Lyon − die Landflucht beförderten, wohlhabendes Bauernland und ist heute tiefste Provinz: la France profonde, wie man hier sagt. Die Ortschaft selbst ist mit noch nicht einmal eintausend Einwohner allenfalls ein Dorf zu nennen. Die engen, steilen Gassen sind von hoch aufragenden, uralten Häusern gesäumt. Neubauten gibt es fast nicht. Unterhalb des Ortes führt eine moderne Straße um das Gassengewirr herum. Die alte „Grand Rue“, die Hauptstraße, wäre selbst dem bescheidenen Durchgangsverkehr wohl kaum gewachsen.
Einen Grund, sich zu wundern, hat man dennoch. Fast schon am Ende der Bebauung gewahrt man hoch über den Häusern eine prächtige gotische Fassade, fast wie von einer großen Kathedrale. Steigt man nun, neugierig geworden, die engen Gassen nach oben, so steht man zunächst vor einem prächtigen Portal in den Formen des 17. Jahrhunderts und erreicht dann über eine für die hiesigen Verhältnisse schon fast überdimensionierte Platzanlage mit den im französischen Süden obligatorischen Platanen eine mächtige Klosteranlage. Hier residierten sie, die eingangs erwähnten „ersamen Herrn sci Antonius orden“.
Es waren natürlich nicht die Höchster Antoniter, die sich hier ein etwas zu groß geratenes Ferienhaus geleistet hätten. Wir stehen vor der Zentrale, dem Mutterhaus des Antoniterordens, von dem Höchst nur eine, wenn auch sehr angesehene, Niederlassung war. Schauen wir uns diesen Orden einmal etwas näher. Schon der erste Blick auf das Mutterhaus zeigt: Man war nicht irgendwer und hatte im Vergleich zu anderen geistlichen Orden so seine Eigenheiten.
Normalerweise gibt es in einem Kloster einen Abt, dazu die Priester- und die Laienmönche. Diese leben nach der Devise ora et labora − bete und arbeite − im Kloster, haben ein Keuschheits- und ein Armutsgelübde abgelegt und kümmern sich um die Welt außerhalb der Klostermauern nur soweit, wie es unbedingt notwendig ist. Ihr Ziel ist die ewige Seligkeit, und zwar schnell und ohne lange Umwege im irdischen Dasein.
Nicht so die Antoniter. Sie hatten nur einen einzigen Abt, nämlich den von St. Antoine. Allen anderen Klöstern in ganz Europa, und das waren so um die 370, stand eine Art Abteilungsleiter vor, Präzeptor genannt. Einige wenige Präzeptoren ragten an Bedeutung über ihre Kollegen hinaus und durften sich Generalpräzeptor nennen, so auch der Chef im Antoniterkloster zu Höchst. Aber alle unterstanden bedingungslos dem Abt in St. Antoine, der mit seinem Stiftskapitel allein das Sagen hatte. Man bezeichnete die Angehörigen des Ordens auch nicht als Mönche, sondern sie waren Chorherren und in dieser Eigenschaft allesamt Glieder des Ordens von St. Antoine.
Apropos Chorherren. Da unterschieden sich die „ersamen Herrn“ gewaltig von den Angehörigen der anderen Mönchsorden, mochten diese nun feine Priester- oder schuftende Laienmönche sein. Die Antoniterchorherren lebten nach der Regel des Kirchenvaters Augustinus und in der war von einem Leben in persönlicher Armut kaum die Rede. Nur den Zölibat, das Keuschheitsgelöbnis, hatten sie einzuhalten. Aber auch das wurde mit viel Verständnis gehandhabt. Als im 1 6. Jahrhundert ruchbar wurde, dass sich einer der „ersamen Herrn“ im Antoniterhaus zu Höchst eine Konkubine hielt, urteilte der Generalpräzeptor in wahrer christlicher Nächstenliebe „Soll er haben“. So vermeldet es in kurzen klaren Worten das Diarium, die Chronik der Höchster Antoniter.
Ein ziemlich verlotterter Haufen, diese Antoniter. Wenn wir im 16. Jahrhundert bleiben, scheint sich dieser Eindruck rundherum zu bestätigen. Gerade die Höchster Antoniter zählten nach 1534 nicht gerade zu den Leuchttürmen des christlichen Lebens. Im Narrenschiff des Sebastian Brant von 1494 werden die frommen Chorherren als arge Spitzbuben bezeichnet und in einem dem Nürnberger Kupferstecher Sebald Beham zugeschriebenen Flugblatt von 1526 heißt es von den Antonitern: „Schwartz/darauff blaw creutz ist ir kleyt, Sind all buben schwer ich ein eyd“.
Aber wir sind dabei, das Pferd von hinten aufzuzäumen. Die schuldige Gerechtigkeit wollen wir dem Orden von St. Antoine schon angedeihen lassen. Die ersten Jahrhunderte des Ordens waren nämlich nicht nur für die Chorherren, sondern auch für die Menschen in ganz Europa außerordentlich segensreich. Denen wurde nämlich von den Antonitern in schwerster Not in einer Weise geholfen, die uns heute noch Respekt abverlangt. Der Orden war ein reiner Hospitalorden − und dann folgt gleich das nächste Kuriosum − ein Orden, in dem nur eine einzige Krankheit behandelt wurde, die Mutterkornvergiftung, auch als Ergotismus bekannt.
Das war eine furchtbare Krankheit, die von pilzbefallenem und vergiftetem Korn herrührte. In Jahren mit feuchtem Frühjahr und unmittelbar folgenden heißen Sommern befällt der Mutterkornpilz claviceps purpurea Tulasne vor allem den Roggen und wurde im Mittelalter, als man die Gefährlichkeit des schwarzen kornartigen Pilzes auf der Ähre nicht einmal erahnen konnte, mit dem Korn gemahlen und in Brei und Brot eingenommen. Folge waren schwere Durchblutungsstörungen, Halluzinationen und offener Wundbrand, die meist zum Tod, mindestens aber zu starken Verkrüppelungen führten. Symptome waren ein starkes Brennen auf der Haut, Heißhunger und kaum erträgliche Schmerzen in den abfaulenden Gliedmaßen, weshalb die Krankheit auch Antoniusfeuer genannt wurde.
Da man die Ursachen nicht kannte, glaubte man, der hl. Antonius habe die Krankheit wegen begangener Sünden gesandt. Die Krankheit grassierte vor allem in den Kornanbaugebieten Europas, Heilung und Hilfe gab es nicht. In dieser Situation wurde 1095 in St. Antoine eine kleine Hospitalbruderschaft gegründet, die sich der Pflege der an der Mutterkornvergiftung Erkrankten widmete. Sie erwählte sich den hl. Antonius den Großen als Patron, da man diesen nicht nur als Thaumaturgen, als den strafenden Verursacher dieser Krankheit sah, sondern auch als den Heiligen, der dieses Leiden auch besiegen konnte. Dieser machtvolle und auch ein wenig unheimliche heilige Herr kam nur auf Umwegen nach St. Antoine. Um 251/252 als Sohn wohlhabender Bauern in Ägypten geboren, wuchs er unbeschwert auf und scheint seine Jugend ziemlich sorglos verbracht zu haben. Es ist überliefert, dass er ein sehr schlechter Schüler war. Als aber seine Eltern verstarben, verschenkte der Zwanzigjährige nach Matthäus 19,21 „gehe hin, verkaufe, was du hast, und gib’s den Armen“ seinen Besitz zog sich als Eremit in die Wüste zurück. Dort soll er vom hl. Paulus von Theben, einem Heiligen, der leider nie gelebt hat, zum wahren Glauben angeleitet worden sein, und wurde mit zahlreichen Schülern und Gefährten zum Begründer des abendländischen Mönchstums. Seine Gebeine liegen im ägyptisch/koptischen Antoniuskloster, einzelne Knochen finden sich jedoch auch in Florenz, Köln und Echternach − und eben in St. Antoine.
Dorthin soll sie der französische Adelige Jocelin 1070 aus Byzanz, wo der dem oströmischen Kaiser Waffenhilfe gegen die Seldschuken geleistet haben soll, als Dankesgabe gebracht haben. Ob das nach mittelalterlicher Art mit rechten Dingen zugegangen war, weiß nur der Heilige allein. Jedenfalls erwählte der Initiator der 1095 gegründeten Hospitalbruderschaft, Gaston de la Valloire, den neu zugezogenen Heiligen zum Patron der jungen Gemeinschaft, was zweierlei zur Folge hatten. Die unbestreitbar herausragenden Leistungen der ersten Antoniter wurden der Fürsprache des Heiligen zugeschrieben und gaben gleichzeitig der Gemeinschaft ihren Namen − die Antoniter.
Ein mittelalterliches Hospital war ein Ort zum Sterben. Die armen Teufel, die es hierher schafften, hatten das ewige, nicht das irdische Leben vor Augen. Dennoch müssen sich die Antoniter in der mittelalterlichen, noch sehr begrenzten Kräutermedizin so gut ausgekannt haben, dass sie, wenn sie die Mutterkornvergiftung schon nicht besiegen, so doch in ihren Auswirkungen lindern konnten. Der Zustrom der Kranken nach St. Antoine war enorm, und sie brachten nicht nur ihre Hoffnung, sondern als Dank für die Hilfe in der Not auch Geld und Stiftungen mit. Die Hospitalbruderschaft wurde reich, gründete neue Niederlassungen und breitete sich schon im 12. Jahrhundert über Frankreich hinaus in den Nachbarländern aus. Schon vor 1200 wurde in Roßdorf bei Hanau eine Niederlassung gegründet, das spätere Antoniterkloster Roßdorf/Höchst.
Natürlich profitierte auch die Zentrale in St. Antoine von den Leistungen und dem guten Ruf der Hospitalbrüder. Der Ort war bei der Gründung 1095 trotz seiner scheinbar abseitigen Lage gut gewählt worden. Die Metropole Lyon, schon immer auch ein wichtiger Handelsplatz, war nicht weit, und die Via Gebennensis, der im Mittelalter viel begangene Jakobsweg von der Schweiz über Le Puy-en-Velay und weiter auf der Via Podiensis nach Santiago de Compostela, führte auf einer seiner vielen Verzweigungen geradewegs durch St. Antoine. Das Hospital, die Pilgerherberge und der dort gewährte geistliche und medizinische Beistand machten St. Antoine für die in der Regel zur Buße wandernden Sünder zu einem attraktiven Zwischenziel.
Bis aus der Hospitalbruderschaft aber ein richtiger, auch vom Papst anerkannter Orden werden konnte, mussten noch einige hohe Hürden überwunden werden. Die heilige Mutter Kirche brachte nämlich zunächst nur geringe Begeisterung für die ohne den Segen des Papstes aus eigener Initiative entstandenen geistlichen Gemeinschaften auf. Solchen unkontrollierten Wildwuchs sah man in Rom gar nicht gerne. Schon die Konzilien von Paris 1212 und Rouen 1214 hatten deshalb allen freien Hospitalbruderschaften die Annahme einer Regel mit Ordensgelübde und das Tragen geistlicher Kleidung verordnet, eine Maßnahme, die 1232 durch den päpstlichen Legaten Gautier de Marvis auch in St. Antoine durchgesetzt wurde. Damit war auch endgültig der Mitgliedschaft von Frauen bei den Antonitern, die anfangs nachweisbar ist, ein Riegel vorgeschoben. 1247 gestattete dann Papst Innozenz IV. die Bildung eines eigenen Konvents, der nach der erwähnten Augustiner-Chorherrenregel lebte.
Aber der Ärger auf dem Weg zu einem eigenständigen Orden war noch nicht zu Ende. Es ging um die Gebeine des hl. Antonius. Als der edle Jocelin diese 1070 in St. Antoine ablieferte, gab es ja noch keine Hospitalbrüder und erst recht keine Antoniter. Also kamen sie an ein kleines Priorat, ein Filialkloster der Benediktiner von der machtvollen Abtei Montmajour in der Provence. Als nun die Hospitalbruderschaft aufblühte und durch Stiftungen und weiträumige Sammelaktionen reichlich Geld ins Haus kam, war der Konflikt so sicher wie das Amen in der Klosterkirche der Benediktiner, wo die heiligen Knochen deponiert waren.
Zunächst konkurrierte man beim Geldsammeln. Auch diese Quest genannten Sammelfahrten der Antoniter lassen schon früh einen etwas unheiligen Hang der „ersamen Herrn“ zu Geld und Besitz erkennen. Die Antoniter baten zunächst um Spenden für den Unterhalt ihrer Hospitäler und natürlich für ihren heilkräftigen Heiligen, dem nach Kirchenrecht der wachsende Reichtum eigentlich gehörte. Die Hospitalbrüder, später die Chorherren, sahen sich als Verwalter dieses Vermögens, ließen es sich selbst jedoch im Laufe der Jahrhunderte recht wohl ergehen. Die Benediktiner wiederum sammelten für den Bau einer Kirche über dem Schrein ihres hl. Antonius. Dumm nur, dass es sich hier um ganz verschiedene, eifersüchtig gehütete Kassen handelte.
Zum Streit über die Finanzen kam die geistliche Abhängigkeit von den Benediktinern. Zwar gestattete Papst Innozenz III. den Antonitern den Bau einer eigenen kleinen Kapelle, aber die kostbaren und wundertätigen Reliquien des hl. Antonius lagen weiterhin bei der Konkurrenz. Der Spitalmeister Aymon de Montagne machte dann ab 1287 Nägel mit Köpfen. Zunächst kaufte er kurzerhand die Grundherrschaft, den weltlichen Besitz in St. Antoine auf, womit er die störrischen Benediktiner wirtschaftlich in die Zange nehmen konnte.
Dann begann eine zehnjährige Auseinandersetzung, die von beiden Seiten mit allen Tricks, Intrigen und Bestechung bis hin zur offenen Gewaltanwendung durchgezogen wurde. Am Ende gab Papst Bonifaz VIII. (1294-1303), auch nicht gerade ein Heiliger unter den Stellvertretern Christi auf Erden, nach. Das Kloster in St. Antoine wurde direkt dem Papst unterstellt, der Spitalmeister durfte sich jetzt Abt nennen und das dortige Benediktinerpriorat wurde mitsamt den Reliquien des alten Antonius dem Antoniterorden zugesprochen. Die Benediktiner von Montmajour hatten das Nachsehen und die Antoniter einen Berg von Schulden. Entscheidungen ex cathedra haben ihren Preis.
Dennoch befand sich der nunmehr vollwertige Antoniterorden weiterhin im Aufwind. Während man sich in St. Antoine dem inneren Neuaufbau des Ordens und der Abtragung der Schulden widmete, wobei man die eigenen Präzeptoreien um gewaltige Summen schröpfte, expandierte man weiter nach außen. Allein von Roßdorf, dem späteren Haus Höchst, aus wurden ab 1287 die Niederlassungen in Oppenheim, Marville in Lothringen, Köln, Brieg in Schlesien und Mainz gegründet. Roßdorf-Höchst mauserte sich bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts zu einer der reichsten Generalpräzeptoreien, welche an Grundbesitz die Größe einer mittleren Grafschaft hatte. Das alles geschah unter der strengen Aufsicht des Abtes von St. Antoine.
Das Mutterkloster selbst wurde in großartiger Weise ausgebaut. Hiervon legt vor allem die großartige Klosterkirche Zeugnis ab, Abteikirche der Antoniter in St. Antoine: Westfassade und Blick zum Chor die ihr Vorbild, die Kathedrale von Lyon, vor allem im Langhaus nicht verleugnen kann. Nach jahrzehntelanger Verwahrlosung ist sie in den letzten Jahren fast in altem Glanz wiedererstanden. Da mochten auch die reichen Generalpräzeptoreien weit ab von St. Antoine nicht zurückstehen. Während wir von der Klosterkirche in Roßdorf bei Hanau nicht einmal eine vage Vorstellung haben, begannen die Antoniter unmittelbar nach ihrer Ankunft damit, die Justinuskirche von Grund auf umzubauen und beschäftigten dabei keine Geringeren als die Steinmetzen der Frankfurter Dombauhütte.
Was in St. Antoine bis zur Vollendung gedieh, blieb in Höchst zum Glück nur Stückwerk. Wollten doch die Antoniter nach dem hoch aufragenden Chor in einem zweiten Bauabschnitt den alten Kasten der Justinuskirche komplett abreißen und durch eine moderne Kirche ersetzen. Dann hätten wir heute statt des karolingischen Bauwerks so eine Art Leonhardskirche auf dem hohen Mainufer stehen. Auch schön, aber das Original ist doch deutlich besser. Zudem schoben die Reformation und die Geldgier des Papstes bei der Finanzierung des Petersdomes in Rom diesem Vorhaben einen Riegel vor. Auch ein geplanter Hochaltar à la Isenheim kam in Höchst, bis auf die einzigartige Sitzfigur des hl. Antonius nicht mehr zu Ausfühung. Wäre ja auch zu schön gewesen.
Bleiben wir noch einmal bei diesem hl. Antonius. Er erinnert heute in Höchst am meisten an die Mutterkirche in St. Antoine. So wie dort der silberne Schrein des hl. Antonius im Hochaltar geborgen ist, so war es in allen Präzeptoreien des Ordens Sitte, einen lebensgroßen, in die Ordensgewänder gekleideten Antonius auf dem Hochaltar sitzen zu haben. Solche Figuren finden sich in ganz Europa, von Deruta in Italien bis nach Tempzin in Mecklenburg, in Isenheim und in Höchst, wie bekannt, sowieso.
Manchmal lugt unter dem Mantelsaum des Heiligen ein kleines freundliches Schwein hervor. Es erinnert an das besondere Privileg der Antoniter, auf Kosten von Stadt- und Dorfgemeinden Schweine halten zu dürfen, die überall kostenlos futtern durften. Usprünglich dienten sie der Versorgung der Hospitäler mit gutem Fleisch und Schmalz für die Herstellung von Salben und Heilmitteln. Später war sie nur noch ein schmarotzendes Ärgernis. Immerhin rührt von diesen Schweinen die Bezeichnung des Heiligen als „Antonius mit der Sau“ oder ganz einfach „Säutoni“.
Wir wollen an dieser Stelle über den Niedergang des Antoniterordens nach der Reformation den frommen Chormantel des Schweigens legen. Ab dem 16. Jahrhundert kam die Medizin den Ursachen der Mutterkornvergiftung allmählich auf die Schliche. Der Hospitalorden der Antoniter verlor seine Daseinsberechtigung. Man lebte, mehr oder weniger fromm, nur noch vom reichlich angesammelten Kapital, das auch durch Misswirtschaft und Verschwendung kaum weniger wurde. 1776 hatte Papst Pius VI. die Nase voll. Er verfügte die Inkorporation der Antoniter in den Malteserorden.
Die störrischen deutschen Antoniter machten das allerdings nicht mit. Sie beteten einfach unter dem alten Etikett weiter, obwohl auch sie auf dem Aussterbetat standen. Das Schicksal ereilte sie mit dem Reichdeputationshauptschluss von 1803, der die Aufhebung so vieler Klöster in Deutschland vorsah. Als vorletztes ging das Haus in Köln im August 1802 zugrunde. In Höchst hielt man noch ein halbes Jahr länger durch. Ganze vier Chorherren quälten sich noch unter der Leitung des Generalpräzeptors Schlender zwischen Kirche und Kloster hin und her. Von ihnen hieß es: Fr. May sei alt, Fr. Embs krank, Fr. Reinfels trübsinnig und Müller in der Seelsorge nicht verwendbar. Am 21. Dezember 1802 wurden die letzten Antoniter der Weltgeschichte von dem nassauischen General-Rezeptor Danton in den Ruhestand geschickt. Mit Christian Müller verstarb am 9. Januar 1830 der letzte Mohikaner aus dem Antoniterhaus Roßdorf-Höchst. Das Kirchen und Klostervermögen sackte das Herzogtum Nassau ein, ein Danaergeschenk, wie der Rechtsnachfolger der Herzöge, das Königreich Preußen 100 Jahre später im Höchster Kirchenbauprozess feststellen musste. Doch das ist eine andere Geschichte.
Dr. Wolfgang Metternich